»Abendgruß«, DDR-Fernsehsandmann | Bildquelle: DRA/Gerhard Behrendt

Der Gute-Nacht-Gruß aus dem Radio

Der Funksandmann (1956 – 1991)

Die Figur des Sandmanns hat einen tief in der Mythologie verwurzelten Ursprung. Als Schlafbringer tauchte sie in literarischen Werken wie E.T.A. Hoffmanns »Der Sandmann« und Hans Christian Andersens »Ole Lukøje« (Ole Augenschließer) auf, lange bevor der kleine Mann mit Zipfelmütze und langem Bart auf den Fernsehbildschirmen erschien und den zuschauenden Kindern Sand in die Augen streute, damit sie sanft einschliefen. Doch wussten Sie, dass der Sandmann zuerst im Radio bekannt wurde, bevor er im Fernsehen zum Star avancierte? 

Schon in den 1940er Jahren konzipierte die Hörfunk-Redakteurin Ilse Obrig die Sendung »Abendlied« für den Berliner Rundfunk. Dieser erste kindgerechte Abendgruß aus dem Radio gilt als Vorgänger der Sandmannsendung. Doch erst am 22. Mai 1956 hatte der Radio-Sandmann seinen ersten Auftritt im Rundfunk der DDR.[1]

Die Beliebtheit des Radiosandmanns führte zur Fortsetzung der Sendereihe, die zunächst unter dem Namen »Der Sandmann kommt…« ausgestrahlt wurde. Bereits kurze Zeit nach der Premiere nannte man sie jedoch in »Wenn der Sandmann kommt...« um. Unter diesem Namen entwickelte sich die von Günter Schiffel gesprochene Sendung schnell zu einem festen Bestandteil des Radioprogramms. Das gewohnte Sendeschema wurde beibehalten:
Je nach Thema erzählte der Funksandmann in den hörspielartigen Sendungen, eingebettet in ein musikalisches Einspiel, Märchen, Gedichte oder lehrreiche Geschichten und unterhielt sich mit seinen Freundinnen und Freunden. Zwischen den Erzählphasen hörte man Musik oder zum Thema passende O-Töne.

Außerdem las der Funksandmann jeden Freitagabend in der Sandmannsendung aus dem »Sandmannbuch«. In diesem »Buch der guten Taten« wurden Kinder und auch einige wenige Erwachsene geehrt, auf die der Sandmann zuvor von Verwandten mittels Briefen an die Redaktion »Kinderradio« hingewiesen worden war. Durch einen Eintrag sollten besonderer Fleiß, Gehorsam gegenüber den Eltern und ähnliche Tugenden hervorhoben werden, worin sich das pädagogische Konzept der Sandmannsendung widerspiegelte, welches darauf abzielte, Kinder zu vorbildlichem Verhalten und sozialer Verantwortung im Sinne sozialistischer Ideale zu erziehen. 

»Eintrag in das große Sandmannbuch« aus »Außenseiter - Spitzenreiter«, 21.12.1989, DDR-F

Als Walter Heynowski, der damalige Programmchef des Deutschen Fernsehfunks, Anfang November 1959 erfuhr, dass das Westfernsehen mit einer abendlichen Kindersendung Konkurrenz zu machen drohte, setzte er alles daran, dem Funksandmann der DDR selbst ein Pendant im Fernsehen zu schaffen[2]. So hüpfte am 22. November 1959, neun Tage vor Erstsendung beim westdeutschen SFB, erstmals die bekannte Sandmannpuppe mit Zipfelmütze und langem Bart über die Bildschirme: »Unser Sandmännchen«. 

Trotz des zunehmenden Zuspruchs für den Fernsehsandmann wurde die Radiosendung 1960 zunächst verlängert und unter dem Namen »Der Sandmann ist da…« ausgestrahlt. Dennoch konnte der Funksandmann ab Mitte der 1960er Jahre nicht mehr mit dem Erfolg seines Fernsehverwandten mithalten und die Sendereihe wurde am 27. August 1972 abgesetzt – allerdings nur kurz. Aufgrund des Protests zahlreicher Hörerinnen und Hörer wurde sie bereits nach zwei Wochen wieder ins Programm aufgenommen. 

Am 31. Dezember 1991, dem Tag der Abschaltung des DDR-Rundfunks, hatte der Funksandmann schließlich mit der Folge »Verkehrte Welt«, einer Wiederholung vom 11. November 1984, seinen letzten Auftritt. Im Anschluss verabschiedete sich die Kultfigur, die seit den 1970er Jahren von Manfred Wagner gesprochen wurde, von seinen Hörerinnen und Hörern: »Und nun liebe Kinder, wünsch’ ich euch eine recht gute Nacht, zum letzten Mal, euer Sandmann vom Kinderradio.«

Rosa Bianca Sliwinski

Letzte Sendung des Hörfunksandmanns am 11. November 1984 mit dem Titel »Verkehrte Welt (Lustige Verse)«

Zur Person Ilse Obrig

Ilse Obrig (1908 – 1978) war eine prägende Persönlichkeit des deutschen Kinderfunks. Bereits während des Studiums war sie bei der Mitteldeutschen Rundfunk AG (MIRAG) in diesem Bereich tätig und verfolgte ihre Leidenschaft für dieses Genre auch als Autorin und Sprecherin beim Reichssender Berlin weiter. Als Rundfunkredakteurin, Regisseurin und Kinderbuchautorin war sie nach ihrem Wechsel zum ostdeutschen Berliner Rundfunk (1945) als leitende Redakteurin für den Aufbau des Kinderfunks verantwortlich. Im Zentrum ihrer Tätigkeit stand dabei immer das Idealbild einer spielerischen und musischen, ungestörten Kindheit. Wegen politischer Differenzen wechselte sie nach kurzen Stationen beim Rundfunk im amerikanischen Sektor (RIAS) und dem Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) 1954 zum Sender Freies Berlin (SFB), wo sie die Entwicklung des West-Sandmännchens im Fernsehen stark vorantrieb. 

Heutzutage kann man »Unser Sandmännchen« übrigens auch wieder hören – als Podcast in der ARD-Audiothek

ImDeutschen Rundfunkarchiv sind zahlreiche der Funksandmann-Sendungen erhalten. Gerade aus der Anfangszeit gibt es aber auch größere Leerstellen in der Überlieferung. Neben den etwa 740 überlieferten Sandmann-Audioaufnahmen sind daher 3.500 der von unterschiedlichen Autorinnen und Autoren verfassten Sendemanuskripte erwähnenswert – genauso wie weitere kontextualisierende Quellen, etwa redaktionelle Freigabescheine oder das oben erwähnte Sandmannbuch. Auch vom DDR-Fernsehsandmann gibt es eine breite Überlieferung. Der DRA-Infoservice hilft gerne weiter.

Literatur-Tipps:

  • Petzold, Volker (2009): Das große Ost-West-Sandmännchenlexikon: Zum 50. Sandmännchen-Geburtstag. Berlin: VBB.

 

Online-Tipps: