M.H. (1924): Der Sender ist verrückt. In: Die Besprechung. Anhang der Radio-Umschau, 6, 1.11.1924, S. 44 | Bildquelle: DRA

Am Anfang ein Experiment

»Zauberei auf dem Sender« von Hans Flesch (1924)

Hans Fleschs »Zauberei auf dem Sender« gilt als erstes Originalhörspiel der deutschen Rundfunkgeschichte. Das Stück wurde am 24. Oktober 1924 von der Frankfurter Südwestdeutschen Rundfunkdienst AG (SÜWRAG) live ausgestrahlt – ohne Aufzeichnung, aber hörbar als Neu-Inszenierung des HR von 1962.

Tatsächlich ordnete Flesch sein Stück gar nicht der Gattung »Hörspiel« zu, sondern gab ihm den Untertitel »Versuch einer Sendespiel-Groteske«, denn Form und Begrifflichkeit der neuen Kunstform »Hörspiel« wurden in den Anfangsjahren des Rundfunks noch experimentell gesucht und erprobt. Erst im Laufe der Zeit wurde der Begriff »Sendespiel« für funkdramatische Darbietungen allgemein enger gefasst und allein auf Theaterinszenierungen vor dem Mikrophon bezogen, die das Radio als reines Übertragungsmedium nutzten. Den Programmverantwortlichen schwebte aber die Entwicklung einer rundfunkeigenen akustischen Kunstform vor, für deren »Zustandekommen die Rundfunktechnik als formaler Faktor unentbehrlich ist«, weshalb man nach neuen Formaten suchte und so das Hörspiel etablierte.[1]

Um nichts weniger als die Ergründung eben dieser Möglichkeiten eines Originalhörspiels geht es in dem Stück von Hans Flesch, der als künstlerischer Leiter beim Frankfurter Sender tätig war. Die Handlung, die Provokation einer Sendestörung auf »Welle 467« durch einen von der Mitarbeit im Funk ausgeschlossenen Zauberer und die dadurch ausgelöste heillose Verwirrung, ist Demonstration der im Stück verselbstständigten Programmelemente und akustischen Ausdrucksformen des Radios. Im Spiel selbst wird damit der Möglichkeitsraum originärer Funkkunst durch die aufgezeigten akustischen Effekte der Apparatur ausgelotet. Das »Durcheinander« auf der Handlungsebene wird – das legen die Regieanweisungen im Manuskript nahe – durch ein der Collage ähnelndes Formprinzip realisiert. Das Experimentieren mit den Möglichkeiten der Apparatur geschieht aus der Überzeugung, dass »aus der Maschine Künstlerisches entstehen kann«, wie Flesch einen Monat vor der Ausstrahlung seines Hörspiels in einem Rundfunkvortrag darlegte.[2]

Radio wird zugleich als bewusstes Spiel der Illusion vorgeführt, als Täuschung und Simulation, als technisches Wunderwerk, das eine eigene Wirklichkeit schafft – personifiziert in der Gestalt des Zauberers – und eben kein Ersatz ist für eine vorgegebene Realität.

Dieses Stück radiophoner Selbstreflexion tat man in der Forschung lange als belanglos ab. Erst Anfang der 2000er Jahre wurde es in seiner zukunftsweisenden Modernität anerkannt und nicht zuletzt als Vorwegnahme der Möglichkeiten elektroakustischer Musik, als Idee einer reinen Radiokunst gedeutet,[3] einer Musik, die – wie es im Stück heißt – »tatsächlich nirgends gespielt wird«.[4]

Dennoch zeigen die zeitgenössischen Besprechungen, die zum Teil vor der Ursendung veröffentlicht wurden und offenbar auf dem Eindruck der Proben für das Hörspiel basierten, dass der innovative Charakter durchaus verstanden wurde. Es wurde als »Versuch, ein rein auf akustische Dinge aufgebautes Stück zu geben, das nur für den Rundfunk möglich ist« charakterisiert.[5]Auch dass die Wochenschrift »Funk« den Text des Hörspiels zwei Monate nach der Ursendung publizierte, signalisiert einen nachhaltigen Eindruck des Hörspiels auf die Zeitgenossinnen und -genossen.[6] Die Veröffentlichung von Sendemanuskripten war ungewöhnlich. Daraus wird zudem ersichtlich, dass der Untertitel von »Sendespiel-Groteske« in »Rundfunkgroteske« geändert wurde.

Der Einfluss von Fleschs Idee einer originären Rundfunkkunst aus den technischen Bedingungen des Radios selbst lässt sich in späteren Hörspielproduktionen deutlich erkennen, vor allem in Walter Ruttmanns »Weekend« aus dem Jahr 1930, einer Collage von Höreindrücken, die nur wenige Jahre nach »Zauberei auf dem Sender« bereits stärker auf technische Errungenschaften wie die Montage von Audiomaterial verschiedenen Ursprungs aufbauen konnte.

»Zauberei auf dem Sender« ist nicht als Tonaufnahme überliefert, erst ab 1929 standen die technischen Möglichkeiten zur Verfügung, das live übertragene Sendegeschehen aufzuzeichnen. Auf der Grundlage des heute im Deutschen Rundfunkarchiv überlieferten Manuskripts konnte der Hessische Rundfunk das Stück jedoch im Jahr 1962 reinszenieren. 1974 wurde es erneut vom HR produziert – dann sogar in Anwendung der zum damaligen Zeitpunkt als revolutionär angesehenen Technik der Kunstkopf-Stereofonie.

Ulrike Schlieper-Müller

Zur Person Hans Flesch

Hans Flesch (geboren 1896, 1945 für tot erklärt) war Arzt und gilt als deutscher Rundfunkpionier. Nach seiner Promotion in Medizin wurde er 1924 künstlerischer Leiter der Südwestdeutschen Rundfunkdienst AG in Frankfurt am Main. Unter seiner Führung arbeiteten bedeutende Persönlichkeiten wie Bertolt Brecht und Paul Hindemith für den Frankfurter Sender. Mit »Zauberei auf dem Sender« und als späterer Intendant der Funk-Stunde Berlin (ab 1929) prägte er die Anfänge des Rundfunks maßgeblich und trieb die Entwicklung des Hörspiels weiter voran. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde Flesch 1932 als Intendant entlassen und später inhaftiert. Nach seiner Entlassung durfte er weder als Arzt noch künstlerisch arbeiten. Flesch wurde 1945 während des Zweiten Weltkriegs als verschollen gemeldet. Sein Werk wurde erst in den 2000er Jahren wieder stärker gewürdigt. So wurde ihm zu Ehren 2004 der Hans-Flesch-Platz in Frankfurt am Main eingeweiht.

Literatur-Tipps:

  • Hagen, Wolfgang (2003): Der Neue Mensch und die Störung. Hans Fleschs vergessene Arbeit für den frühen Rundfunk. In: Erhard Schüttpelz, Albert Kümmel (Hrsg.), Signale der Störung. München: Fink, S. 275–286.
  • Ottmann, Solveig (2013): Im Anfang war das Experiment: das Weimarer Radio bei Hans Flesch und Ernst Schoen. Berlin: Kadmos.


Online-Tipps: