Funkausrüstung des abgestürzten Luftschiffs »Italia« | Bildquelle: Wikimedia Commons/unbekannt

Rettung durch Funk

»S.O.S. rao rao Foyn – ›Krassin‹ rettet ›Italia‹« von Friedrich Wolf (1929)

»S.O.S. rao rao Foyn, ›Krassin‹ rettet ›Italia‹« gilt als ältestes vollständig erhaltenes Hörspiel in deutscher Sprache. Es wurde am 5. November 1929 erstmals im Deutschlandsender und innerhalb einer Woche von fast allen weiteren deutschen Sendern ausgestrahlt. Dabei wurde es aufgrund teils noch fehlender Aufzeichnungsmöglichkeiten mehrfach neu inszeniert. Im Deutschen Rundfunkarchiv überliefert ist heute die Sendung der Deutschen Funkstunde in Berlin vom 8. November 1929.

Der Autor Friedrich Wolf hatte die Textgrundlage Anfang August 1929 binnen weniger Tage auf Langeoog geschrieben. Als Basis diente ihm die wahre Begebenheit der im Mai 1928 gescheiterten Nordpolexpedition des italienischen Generals Umberto Nobile mit dem Luftschiff »Italia«, bei der ein Teil der Mannschaft verunglückte. Die Überlebenden trieben auf einer Eisscholle im Polarmeer umher und sendeten mittels tragbarer Funkanlage immer wieder Notrufsignale ab. Ein Amateurfunker fing die zerstückelten Funksignale auf.

»Ohne Funk, vor allem aber ohne die unerhörte Leistung der kurzen Welle, wäre die ganze Expedition wohl auf ewige Zeiten verschollen geblieben, wie das mit unzähligen anderen Expeditionen früherer Jahre, in denen es keinen Funk gab, der Fall war.«[1]

Mehrere Rundfunk-Zeitschriften berichteten im Jahr 1928 über das Ereignis und stellten die Rolle des Funks bei der Rettungsaktion heraus: »Ein erschütterndes Rundfunk Drama der Wirklichkeit«, schrieb die »Funkstunde«.[2] »Ohne Funk, vor allem aber ohne die unerhörte Leistung der kurzen Welle, wäre die ganze Expedition wohl auf ewige Zeiten verschollen geblieben, wie das mit unzähligen anderen Expeditionen früherer Jahre, in denen es keinen Funk gab, der Fall war«, war in der »Funkschau« zu lesen.[3]

In diesem Sinne schrieb Friedrich Wolf sein Hörspiel als Loblied auf den Funk und verband damit seine Botschaft von der Solidarität der Menschen. Nach Wolf wird die Rettung des italienischen Luftschiffs erst möglich durch die Technik des Funks und deren Nutzung durch einen sowjetischen Radioamateur. Der Funk verbindet Menschen, überwindet menschliche Unzulänglichkeiten und Distanzen und ermöglicht weltumspannende Solidarität.

Im Hörspiel bilden Funksprüche und Notrufe wichtige Handlungselemente und Gestaltungsmittel, die Geräusche und die von Walter Goehr komponierte Musik greifen das Motiv des Funksignals akustisch auf. Formal und dramaturgisch entstand damit ein genuin »funkisches« Hörspiel, was nach den am Bühnenschauspiel orientierten Anfängen des Sendespiels äußerst ungewöhnlich war.

Die Darstellung der Rettung als kollektive Leistung hält Wolf konsequent durch, es gibt keine identifikationstragenden Protagonisten. Zwei Szenen kommentieren den Rettungsprozess aus Sicht von Berliner Zeitungsredaktionen und Passanten. Sie konzentrieren sich auf die Sensation, eine Solidarisierung findet nicht statt. Dagegen vermitteln sie ein realistisches und humorvolles Bild der zeitgenössischen Mediengesellschaft.

Wolf war Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands. Er integrierte subtile politische Botschaften wie ein kurzes konzertantes Anspiel der »Internationale« in der siebten Szene, in Szene zehn erklingt das Arbeiterlied »Warschawjanka« als Männerchor. Beide Musiken gehören zu den Hymnen der Arbeiterbewegung. Bei der Diskussion eines sowjetischen Arbeiterrats über die Unterstützung der Rettung werden deutlich sozialistische Töne angeschlagen.

»S.O.S. rao rao Foyn – ›Krassin‹ rettet ›Italia‹ (Mai bis Juli 1928)« von Friedrich Wolf, Deutsche Welle GmbH (Berlin), Funk-Stunde AG (Berlin) 1929

Das Hörspiel konnte auch als spannende, ästhetisch gelungene Verarbeitung einer internationalen Rettungsaktion rezipiert werden. Mit seiner Vision von einem funkischen, die Menschen und Systeme verbindenden Welt-Raum stand Wolf nicht allein: Auch einer der ersten Hörspieltheoretiker Hermann Pongs bezog sich 1930 auf diese Vorstellung.[4] Wolf verstand sie jedoch äußerst wirkungsvoll umzusetzen.

»S.O.S. rao rao Foyn« steht in einer Reihe von Expeditionshörspielen, die um 1930 Konjunktur hatten. Sie zeugen von Neuer Sachlichkeit, Technikbegeisterung und der zeitgenössischen Faszination für abenteuerliche Unternehmungen. Mehrere Hörspiele griffen dabei auch das Sujet der Polexpeditionen auf, so »Magnet Pol« (1930, nur als Text überliefert), »Nordheld Andrée« (nicht überliefert) oder »Polarkantate« (nicht überliefert). Auch Bertolt Brecht widmete sich in »Lindberghflug« (1929) mit der Alleinüberquerung des Atlantiks einem verwandten Stoff und stellte den Flug ähnlich wie Wolf die Rettungsaktion als kollektive Leistung dar.

Dieser Text ist eine gekürzte Fassung von »Friedrich Wolf. Ein Rundfunkpionier«, verfasst von Paul Werner Wagner unter Mitarbeit von Anna Pfitzenmaier für das Booklet der gleichnamigen CD-Veröffentlichung (DRA 2013). 

Zur Person Friedrich Wolf

Friedrich Wolf war praktizierender Arzt, vielseitiger Schriftsteller und engagierter Kommunist. Geboren 1888 in Neuwied, studierte er Medizin, Philosophie und Kunstgeschichte. Nach medizinischem Staatsexamen und Promotion wurde er Schiffsarzt, im ersten Weltkrieg Truppenarzt an West- und Ostfront. In dieser Zeit veröffentlichte er erste Prosastücke. In den 1920er Jahren bis zur Emigration nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten veröffentlichte er Bühnenstücke, Romane und Hörspiele. Er wirkte unter anderem am Aufbau der Künstlerkolonie Worpswede mit (1921), ließ sich als Arzt für Naturheilkunde und Homöopathie in Stuttgart nieder (1927) und trat in die KPD ein (1928). Nach 1933 emigrierte Wolf nach Frankreich, später in die Sowjetunion, wo er unter anderem für Radio Moskau arbeitete. Aufgrund drohender stalinistischer Verfolgung verließ er 1937 die Sowjetunion, kehrte 1941 zunächst dorthin zurück und ließ sich schließlich nach dem Krieg in der sowjetischen Besatzungszone (später DDR) nieder, wo er sich als Schriftsteller und Kulturpolitiker engagierte. Er war Mitbegründer der DEFA und der Volksbühnenbewegung, des deutschen PEN-Clubs und der Akademie der Künste in Ost-Berlin. Friedrich Wolf starb 1953 auf Langeoog. 

Friedrich Wolf ist der Vater von Markus Wolf (geboren 1923), dem Leiter des Auslandsnachrichtendienstes im Ministerium für Staatssicherheit der DDR, und Konrad Wolf (geboren 1925), der als einer der wichtigsten Regisseure in der DDR galt. 

Literatur-Tipp:

  • Deutsches Rundfunkarchiv (Hrsg.): Friedrich Wolf – Ein Rundfunkpionier. »S.O.S. … rao rao … Foyn – ›Krassin‹ rettet ›Italia‹« und andere ausgewählte Tondokumente. 2 CDs mit umfangreichem Booklet.