Werner Bräunig vlnr. mit Jochen Schäfers (Sekretär Dt. Schriftstellerverband), Werner Haiduczek, Werner Reinowski sowie Studenten des Literaturinstituts »Johannes R. Becher« 1968 bei der Landwirtschaftsausstellung »agra 68« in Leipzig. | Bildquelle: Bundesarchiv_Bild_183-G0705-0017-001, via Wikimedia Commons/Wolfgang Kluge

»Greif zur Feder, Kumpel!«

»Der Mann Andreas Seiler« von Werner Bräunig

Das Hörspiel »Der Mann Andreas Seiler« wurde am 15. Oktober 1959 im Berliner Rundfunk ausgestrahlt. Seine Entstehung fiel in die Anfangszeit des »Bitterfelder Wegs», einer kulturpolitischen Kampagne, in der die Annäherung von Arbeitenden und Kunstschaffenden propagiert wurde und eine sozialistische Nationalkultur ins Leben gerufen werden sollte. Der Autor des Hörspiels, Werner Bräunig, war Mitautor des 1959 verfassten Aufrufs »Greif zur Feder, Kumpel! Die sozialistische Nationalliteratur braucht dich!«, mit dem diese Kampagne startete. Ziel war es, die Verhältnisse in den Betrieben künstlerisch zu beschreiben und Kunstschaffende aus der Arbeiterschaft zu fördern, um so eine Nähe zwischen Produktion und Kultur herzustellen.

Ganz in diesem Sinne erschafft Bräunig in »Der Mann Andreas Seiler« eine alltagsnahe Arbeitswelt, in der ein Konflikt zwischen Arbeiterschaft und Intelligenz im Vordergrund steht, personifiziert durch die Figuren Seiler und Lorenz. Wenngleich der bestrittene Weg zur Lösung dieses Konflikts aus heutiger Sicht vorhersehbar und idealisiert wirkt (der Parteisekretär in der Rolle des Konfliktlösers ist erfolgreich), lebt das Stück von den authentisch wirkenden, gut gesprochenen Dialogen zwischen Arbeitenden und ihren Vorgesetzten.

Das Hörspiel beginnt mit einem Streitgespräch, aus dem sich der Hintergrund des Geschehens erkennen lässt: Ein Staudamm soll in China gebaut werden. Die Bauteile dafür kommen aus einem Betrieb in der DDR, der sich zur Planerfüllung verpflichtet hat. Der 10. Jahrestag der Republik steht vor der Tür, doch die Verpflichtung kann nicht rechtzeitig erfüllt werden. Der Parteisekretär spricht daher auf der Suche nach einer Lösung mit dem verantwortlichen Ingenieur Lorenz. Dieser ist wenig begeistert von den hochtrabenden Zielen. Schuld an der Verzögerung seien marode Maschinen und schlechte Qualität könne er nicht verantworten. Abteilungsmeister Zeck aus der Produktion sieht es ähnlich.

In seiner Ratlosigkeit sucht der Parteisekretär weiter nach einer Möglichkeit, das Vorhaben rechtzeitig zu beenden. Man munkelt, der Arbeiter Seiler habe Ideen, die den Prozess beschleunigen könnten. Doch der Ingenieur und der Abteilungsmeister halten nicht viel vom Seiler. Der Gruppenleiter aus der Produktion sieht dies allerdings anders: Der Vorschlag vom Seiler scheint gut zu sein.

Der Parteisekretär besucht das Ehepaar Seiler. Obwohl Andreas Seiler sehr skeptisch ist, gelingt es dem Parteisekretär, ihn in einem persönlichen Gespräch zu überzeugen. Das gelingt ihm insbesondere durch eine moderierende Funktion, wie im Gespräch zwischen beiden Männern und Seilers Ehefrau deutlich wird (vgl. Hörzitat):

Ausschnitt aus »Der Mann Andreas Seiler« von Werner Bräunig, Rundfunk der DDR 1959

Seiler willigt schließlich ein, seinen Vorschlag in der Produktion umzusetzen.
Am nächsten Tag im Betrieb muss er jedoch feststellen, dass Ingenieur Lorenz schon mit der Umsetzung seiner Idee begonnen hat. Seiler fühlt sich hintergangen. Es kommt zum Streit mit dem Ingenieur, der daraufhin wütend eine wichtige technische Zeichnung zerreißt und damit die Produktion um Tage zurückwirft. Lorenz droht nun ein Parteiverfahren.

In einer Versammlung über die aktuelle Situation verteidigt Seiler Lorenz unerwartet mit der Feststellung, dass jedem Fehler unterlaufen. Er schlussfolgert, letztlich sei das Hochwasser der Feind und alle müssten an einem Strang ziehen. Auf diese Weise stellt Seiler seine eigenen Befindlichkeiten im Sinne des Gemeinwohls zurück und argumentiert ganz im Sinne einer sozialistischen Gesellschaft. Das Verfahren gegen Lorenz wird eingestellt.

Bräunigs Stück zeigt heute auch exemplarisch, warum der »Bitterfelder Weg« und die dahinter liegenden Ideale letztlich schnell wieder aufgegeben wurden. Der Einblick der Künstlerinnen und Künstler in die Realität der Arbeitenden bzw. der literarische Blick der Arbeitenden auf ihren Alltag führte dazu, dass man die Gegenwart klarer sehen und die damit in Zusammenhang stehenden Probleme besser kritisieren konnte. Christa Wolf formulierte in diesem Sinne 1990 rückblickend: »Und als klar wurde, dass die Verbindung der Künstler mit den Betrieben dazu führte, dass sie realistisch sahen, was dort los war, dass sie Freundschaften mit Arbeitern, mit Betriebsleitern, mit Leuten anderer Berufe knüpften und dass sie Bescheid zu wissen begannen auch über die ökonomische Realität in diesem Land: Da, genau an diesem Punkt, wurde die Bitterfelder Konferenz, wurden die Möglichkeiten, die sie uns eröffnet hatte, ganz rigoros beschnitten. Damit wurde also die Möglichkeit zur Einmischung durch Kunst, die wir vehement ergriffen hatten und die wir gar nicht so schlecht fanden, gekippt.«[1] Werner Bräunig musste dies selbst erfahren. Nach massiver Kritik von Seiten der SED an seinem Roman »Rummelplatz« Mitte der 1960er Jahre konnte er in der DDR nur noch unter erschwerten Bedingungen publizieren.  

Brigitta Hafiz

Zur Person Werner Bräunig

Werner Bräunig, 1934 in Chemnitz geboren, kam Anfang der 1950er Jahre zum Schreiben. Er übte als junger Mann unterschiedliche Berufe aus. Mit Anfang 20 publizierte er erste Schreibversuche. Knapp zehn Jahre galt er als ein wichtiger Vertreter des schreibenden Arbeiters. 1965 fiel sein begonnener Roman »Rummelplatz« nach einem Vorabdruck eines Kapitels in Ungnade bei der SED und wurde nicht veröffentlicht. Bräunig arbeitete trotz seines faktischen Karriereendes danach noch an verschiedenen Reportagen und Erzählungen, schrieb jedoch keinen weiteren Roman mehr. Er starb mit 42 Jahren in Halle/Saale. Nach dem Mauerfall erfuhr sein Werk späte Anerkennung. Einige seiner Arbeiten aus Funk und Fernsehen sind heute im Deutschen Rundfunkarchiv überliefert.

Literatur-Tipp

  • Angela Drescher (2008): »Aber Träume, die haben doch Namen.« Der Fall Werner Bräunig. Nachwort. In: Werner Bräunig: Rummelplatz. Berlin: Aufbau Verlag, S. 624 – 674.

 

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